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2012-05-27

LAIBACH - Monumental Retro-Avant-Garde

"Sag mal, worum geht es eigentlich im Herrn der Ringe?"

Eine Frage dieser Art (statt "Herr der Ringe" könnte man auch "Mad Men", "Lost" etc. einsetzen) hat wahrscheinlich jeder schon einmal gehört.

Man muss ja auch zugeben: An die meisten popkulturellen Phänomene haben wie die Erwartungshaltung, sie uns nach einigen beschreibenden Sätzen und Vergleichen zumindest grob vorstellen zu können - und ebenso glauben wir als gefragte Experten für jenes Fan-Wissen natürlich, mal eben eine nachvollziehbare Beschreibung rausschütteln zu können. Und oftmals funktioniert das.

Wird es allerdings wie in den obigen Beispielen weit komplexer, dann stammelt man sich schnell stundenlang von einem Teilaspekt zum nächsten und kommt dabei doch nicht wirklich auf den Punkt. Am Ende ist der Fragesteller vor allem verwirrt, und es bleibt nur die dringende Empfehlung, dass er sich einfach mal selbst mit dem Thema befassen solle. Und als Experte ist man trotz fortgeschrittenen Nerdtums höchst unzufrieden mit sich, weil man letztendlich ja in seiner Funktion als kriecherischer Götzendienstler sein Goldenes Kalb weit unter Wert verkauft hat.

Eine persönliche Klassiker-Frage, an der ich schon oft derart gescheitert bin, lautet:
"Was für eine Band ist eigentlich Laibach?"

Dabei könnte man ja schon die Frage an sich in Frage stellen, da sie voraussetzt, dass es sich bei Laibach überhaupt 1. um eine Band und 2. um eine Band handelt.
So sage ich gerne, dass es sich bei den Slowenen um die vielleicht einzige Band mit konsequentem Konzept (im Gegensatz zu Image) handelt. Aber ist es nicht eher so, dass hier nicht die Band das Konzept hat, sondern umgekehrt die Band nur ein Arm einer übergeordneten Idee ist?
Und welche der unterschiedlichen Musikerkonstellationen, die in den letzten fünf Jahren (die ich sie leider seit der "Volk"-Tour in Hannover schon nicht mehr live zu Gesicht bekommen habe) je nach Motto der Tour oder des Konzertes auf der Bühne standen, sind denn nun die echten Laibach?

Fragen über Fragen. Bücher wurden über Laibach geschrieben und Dokumentationen gedreht Alle kommen Sie zu dem Schluss, dass die Frage, das Infragestellen zentrales Element der Laibach-Kunst sind.
Und ich kleines Licht soll im Ernst diese Frage beantworten?

Zuletzt geschah dies letzten Monat, am Samstag, den 14. April 2012, im tilburger Musikclub 013 während des Roadburn Festivals.

Ich ahnte nicht, dass genau in dem Moment, in dem ich wieder einmal an der Erklärung kläglich scheiterte, grob 200 km westlich an der Themse das Tate Modern mit einer Ausstellung über die Neue Slowenische Kunst der Antwort wesentlich näher war als ich. Und zum Glück war mir auch nicht bewusst, dass eben dort wohl der einzige Ort war, an dem ich mich - trotz meiner grenzenlosen Begeisterung für das Roadburn-Festival - zumindest an diesem Tag tatsächlich noch lieber befunden hätte, da nämlich Laibach diese Ausstellung mit einer historischen Show krönten.

Den Blick von rückwärts auf die subversiven Wurzeln der Gruppe in Jugoslawien bis mondwärts auf den Iron Sky-Soundtrack richtend, lautete das Motto des Abends "Monumental Retro-Avant-Garde".

Wie schon 2007 das Londoner Konzert der "Volk"-Tour hat das Team von Live Here Now den Auftritt mitgeschnitten und bereits direkt nach dem Konzert an die Besucher verkauft. Zum Glück ist die stilvoll aufgemachte Doppel-CD nun auch für uns zu haben, die wir dem Ereignis nicht live beiwohnen konnten.


LAIBACH - Monumental Retro-Avant-Garde - Live at Tate Modern / 14 April 2012 (2012)

Die erste Konzerthälfte ist komplett den Industrial-Anfängen Laibachs gewidmet und konzentriert sich vor allem auf Material aus den frühen Achtziger Jahren. Doch schon der zwischen Karl Marx und "Heitschi Bumbeitschi Bumbum" lärmende Opener "Siemens" zeigt mit der prominenten Verwendung von Sounds der in späteren Dekaden aufgenommenen Songs "War" und "B-Mashina", dass es sich um renovierte Arrangements der Stücke handelt und es zwar - im besten Sinne - anstrengend, aber schon etwas zugänglicher als zu "Rekapitulacija"-Zeiten zugehen wird.

Am klassischsten lärmt es noch bei den ersten Stücken aus den Boxen. Ausgehend von dem, was ich höre, und den Booklet-Fotos , gehe ich mal davon aus, dass hier auch einige der ansonsten nicht mehr oder nur noch selten live auf der Bühne mitwirkenden Ur-Mitglieder wie Ivan Novak und Dejan Knez dabei sind, ehe man zur aktuellen Besetzung übergeht. Diese wird vor allem durch das mittlerweile fast zu gleichen Anteilen agierende Gesangsduo aus Tiefsprechgroßmeister Milan Fras und der ebenfalls unverkennbaren, wunderbaren Mina Špiler geprägt, und zeigt sich musikalisch vielseitig, dynamisch, elektronisch (und nach wie vor saiteninstrumentefrei).

Die vorherrschende Sprache auf CD 1 ist slovenisch. Und schon wenn sich Fras nach einer Viertelstunde, die vor allem in klangcollagenhafter Ursuppe gerührt wurde, in "Sredi Bojev" erstmals zu Wort meldet, hat man den Eindruck, dass sein unmenschliches Organ in seiner Muttersprache noch tiefer dröhnt und droht als sonst.
Ob sie nun aus Freiheit und Gerechtigkeit die Zukunft schmieden ("Mi Kujemo Bodocnost"), nach schrecklichen Greueln ("Smrt Za Smrt", mit einem Gastsänger, der wunderschön ein abgestochenes Schwein imitiert) heldenhaft in der Schlacht sterben ("Ti, Ki Izzivaš") oder uns mit ihnen zum neuen Lichte emporsteigen lassen ("Brat Moj"), die Propagandamaschine läuft auf Hochtouren und hämmert uns ihre Botschaften nicht nur mit Bombast und eiserner Industrialfaust ein, sondern klingt gleichzeitig auch oft beinahe sehnsuchtsvoll entrückt.

Das Finale des ersten Sets bilden nach einer überraschend tanzbaren Version von "Država" der erste deutschsprachige Titel "Leben - Tod" und einer meiner absoluten und leider nie live gehörten Laibach-Favoriten, der spartanisch Kraftwerk Tribut zollende Quasi-Titeltrack von "Kapital" - "Les Privilège Des Morts".
Niemals klang französisch so bösartig. C'est très bien!

Das zweite Set beginnt dann - diesmal ganz ohne Ironie - mit dem wirklich wunderschönen Beatles-Cover "Across The Universe", welches schon in seiner Studioversion das Original vergessen machte, streift dann mit der neuen Fassung von "B-Mashina" und "Under The Iron Sky" den aktuellen Filmsoundtrack und besteht neben zwei Stücken von "WAT" aus sowohl altbekannten, aber neu verpackten Coversongs ("Alle Gegen Alle", "Leben heisst Leben", "Geburt einer Nation"), als auch aus neueren Laibach-Interpretationen, die hier ihren Tonträgereinstand feiern.
Dabei schlägt "Warme Lederhaut" ("Warm Leatherette") in eine ähnliche Kerbe wie "Alle Gegen Alle" und ist somit zwar gut, aber nicht ganz so spannend wie das teilweise wieder französischsprachige "Love On The Beat" und die ganz große "Ballad Of a Thin Man", in der z.T. sogar der Gesangsduktus Bob Dylans von Milan Fras aufgegriffen wird.

Alles in allem bekommt man mit "Monumental Retro-Avant-Garde" ein relativ komplettes Bild von Laibach anno 2012 plus einen Hauch der guten alten Zeit.

Und nebenbei ist es hier endlich einmal gelungen, den schwer konservierbaren Live-Sound der Gruppe ohne Abzüge in der B-Note einzufangen. Von einem zwar guten, aber dennoch Wünsche offen lassenden Klang irgendwo zwischen Bootleg und offiziellem Live-Album, wie bei der ersten LiveHereNow-Veröffentlichung kann hier nicht die Rede sein.
In diesem Sinne: Regler so hoch wie möglich und Begeisterung, die ganze Nacht! Es gibt nur ein Klangbild! Jawoll!

Da bleibt mir am Ende eigentlich nur eine Bitte: Auf der nächsten Tour, egal unter welchem Motto sie stehen mag, bitte bitte unbedingt mal wieder nach Norddeutschland kommen!
Bis dahin bekommt diese Tonaufzeichnung einen Ehrenplatz in der Sammlung.


Anspieltipps: Le Privilège Des Morts, Across The Universe, Ti Ki Izzivaš, Love On The Beat, Mi Kujemo Bodočnost, Siemens, Leben heisst Leben, Država, Ballad Of A Thin Man, Du Bist Unser

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