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2015-11-07

KAMASI WASHINGTON live im Gruenspan, Hamburg (06.11.2015)


Wenn man von einem Clubkonzert nach Hause fährt und im Radio noch die Bundesliga-Konferenz läuft, dann muss die Band schon ziemlich scheiße gewesen sein.

Oder das Konzert fing halt scheiße früh an - was nur weil gleich mehrere Läden im Reeperbahnbereich dafür berüchtigt sind, keine weniger lästige Zumutung darstellt. Als ob sich nur Kiezbewohner aus der unmittelbaren Nachbarschaft auf den Weg machen würden, wenn die gefeierte Jazz-Saxophon-Sensation der Stunde Kamasi Washington erstmals in Deutschland auftritt.

Kamasi wurde dabei unterstützt von einer Rhythmussektion aus Kontrabass und gleich zwei Schlagzeugern. Dazu kamen noch Keyboard, Posaune, Sängerin Patrice Quinn und etwa ab Halbzeit der Show sein Vater Rickey Washington an Querflöte und Sopransaxophon.
Überhaupt muss man angesichts der gewaltigen musikalischen Klasse, die hier aufgetischt wurde, staunen, wie familiär es in der Band zugeht. So eine komplette Gruppe aus Kindheits- und Jugendfreunden, die alle zu grandiosen Jazz-Muckern gereift sind, dürfte es nicht allzu häufig geben... Witzig die Geschichte, wie Kamasi als Kleinkind seinen Drummer  Ronald Bruner Jr. kennenlernte und von diesem "Baby" auf seinem gerade zum Geburtstag bekommenen Kinderschlagzeug im Battle vernichtet wurde. Washington hat sich dann ja später lieber für ein anderes Instrument entschieden.

Zwei Stunden lang brannte die Band ihr Jazz-Fusion-Feuerwerk ab, fast immer groovend getrieben vom wild wuselnden Drummer-Duo und mit reichlich Platz für beeindruckende Soli aller Beteiligten. Fast alle Songs stammen von Kamasi Washingtons fast dreistündigem (!) Debütalbum (als Solokünstler bzw. Bandleader) "The Epic".

Und episch ist wahrscheinlich auch das beste Wort um den leidenschaftlich beseelten Rausch zu beschreiben, der dieses Konzert war. Ob in den leisen Passagen oder den tosenden Eruptionen - zu jeder Sekunde hat man Herz und Hunger gespürt, mit dem die Musiker dabei waren.
Allein Kamasis Saxophonspiel sagt alles. Technik, Tempo, Dynamik... alles im Überfluss vorhanden, doch manchmal spielt das überhaupt keine Rolle mehr und er quetscht mit solcher Gewalt Luft durch das Instrument, dass es so schmerzhaft aufschreit und man glaubt es wolle zerspringen.

Gänsehaut ebenso, als in "Malcolm's Theme" lyrisch die Grabrede für Malcolm X zitiert wurde und sich Patrice Quinn derart die Seele aus dem Leib sang und schrie, dass mir nach dem Song ein Kloß im Hals saß, wie ich es live sehr selten erlebt habe.

Natürlich klingt das meiste irgendwie vertraut und wurde zumindest formal so ähnlich gewiss schon unendliche Male von Herbie Hancock, Billy Cobham, Wayne Shorter und vielen anderen interpretiert. Doch das ist ja kein Manko, sondern Lob, und spielt davon abgesehen angesichts der Qualität der Show ohnehin keine Rolle.

Es gab aber auch spezielle, stilistisch überraschende Momente, z.B. wenn Bassist Miles Mosley, der sein Gerät mit Fingern und Boden bearbeitete, plötzlich Sounds erzeugte, die jedem Dubsteb-Track gut zu Gesicht stehen würden. Und mit Keyboarder Brandon Coleman am "Moog Liberation"-Umhängesynthesizer (gebaut von 1980 bis '84) emulierte die Gruppe auch mal einen gitarrenlastigen Rockbandsound.

Tatsächlich war jedes der langen Stücke gespickt mit erwähnenswerten Momenten. Ich vergebe an dieser Stelle aber nur noch einen Sympathie-Sonderpreis an Ronald Bruner Jr., der zumindest noch sehr ehrgeizig versucht hat, mitten in seinem eigenen Solo parallel zum Spielen sein gelöstes Hi-Hat-Becken wieder festzuschrauben, wozu man aber tatsächlich zwei Hände benötigt.


Was soll ich noch sagen? Ein irre gutes Konzert.
Mein Fazit ist, dass jeder Funken des Hypes um Kamasi Washington gerechtfertigt ist.

Dieser Drive! Diese Gefühlsachterbahn! Den 6.November kringele ich mir auf jeden Fall nur allzu gerne in meinem Kalender für live miterlebte Musikgeschichte ein.





Wer in der Bundesliga gestern die Nase vorn hatte, habe ich allerdings komplett vergessen.


Und nun wuchte ich mal "The Epic" auf den Plattenteller...





















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